Lasst uns nach Bethlehem gehen

Das Lukasevangelium, das am diesjährigen Weihnachtstag in unseren Gottesdiensten vorgetragen wird, berichtet über die Worte der Hirten: «Lasst uns nach Bethlehem gehen». Diese Entscheidung fassen die Hirten, nachdem ihnen die Engel die Geburt des Messias verkündet haben. Dieser Beschluss ist ein Wagnis, denn die Hirten müssen dabei ihre Schafe allein lassen, um sich auf den Besuch des neugeborenen Messias zu begeben. Erstaunlicherweise wirkt dieser Hirtenbesuch beim Christkind in Bethlehem wie eine Einladung an uns heute. Ja, heute. Können wir heute der Einladung der Hirten folgen? Lasst uns nach Bethlehem gehen! Nein, angesichts der gegenwärtigen Situation im Nahost wäre eine Massenreise nach Bethlehem nicht zu empfehlen. Und ich möchte hierzu meine Solidarität mit der dortigen Bevölkerung bekunden und ihr mein bescheidenes Gebet zusichern, in der Hoffnung, dass eine baldige Lösung des Konflikts gefunden wird. Ich nehme jedoch die Worte der Hirten zum Anlass, um mit Blick auf das Weihnachtsereignis über unser Dasein hier auf Erden zu reflektieren. Denn Weihnachten bietet uns die Möglichkeit, eine Pilgerfahrt zu einem spirituellen Bethlehem zu wagen. Dabei bediene ich mich gerne einer Legende. Vielleicht ist sie Ihnen bekannt. Ein König hatte vier Frauen. Die vierte Frau liebte er über alles. Sie wurde immer wieder beschenkt. Die dritte Frau war sehr hübsch. Der König war stolz auf sie und pflegte es, diese Frau den Menschen vorzustellen. Die zweite Frau war die vertrauenswürdige Person an seiner Seite. Mit der ersten Frau war es alles andere als Liebe; der König schenkte ihr weder Aufmerksamkeit noch Zeit. Bei offiziellen Anlässen durfte sie jedoch immer anwesend sein. Nun wurde der König krank und lag im Sterben. Er fragte alle seine Frauen, ob sie ihm ins Grab folgen würden. Die vierte Frau erteilte ihm direkt eine Abfuhr. Die dritte Frau lehnte ab und kündigte gleich die Heirat mit einem anderen Mann an. Die zweite Frau entschuldigte sich für ihre Absage, versicherte ihm jedoch, für dessen Beerdigung zu sorgen. Letztlich meldete sich die erste Frau zu Wort, zeigte sich sehr besorgt und erklärte sich bereit, ihrem Mann bis ins Grab zu folgen: «nie würde ich dich verlassen.» Jeder Mensch hat vier Partner im Leben. Ein Partner ist der eigene Leib. Er ist wie die vierte Frau des Königs und für das eigene Wohl besorgt: Gesundheit, Wohnung, Kleidung, Freizeit… Und das ist auch gut so. Dann haben wir einen weiteren Partner- wie die dritte Frau des Königs. Das ist, was wir erreicht haben im Leben, und was wir gerne zeigen: Erfolg, Ausbildung, Reichtum, Titel etc. Ein weiterer Partner, vergleichbar mit der zweiten Frau des Königs, bildet unser Umfeld: Familie, Verwandte, Freunde. Bei ihnen und in ihrem Kreis fühlen wir uns wohl. Und dann bleibt noch der letzte Partner im Leben, der wie die erste Frau des Königs einzustufen ist. Das ist die Seele. Das Innere in mir ist das, was ich tatsächlich und wesentlich bin. Und dieses innere ICH werde ich immer sein auch über den Tod hinaus. Das ist der Bereich, wo ich Gott begegnen kann. Und dieser Bereich unseres Seins wird öfters vernachlässigt, ganz im Gegensatz zu allen anderen «Partnern».

Weihnachten ist das Fest der Wiederentdeckung des Wesens des Menschen. Wie die Hirten im Evangelium können wir es wagen, unsere Prioritäten anders zu setzen: der Ehrenplatz gehört ja der Pflege der Beziehung zu Gott. Wir können es. Mit Hilfe des Christkindes. Lasst uns nach Bethlehem gehen. Abbé Zacharie