Klimagerechtigkeit. Sehen und Handeln
Mit der Fastenzeit wird uns nun nach der Feier der Geburt unseres Herrn Jesus Christus eine zweite intensive, spirituelle Zeit im liturgischen Jahreskreis angeboten. Es sind vierzig Tage, in denen wir uns auf das Osterfest durch Fasten, Beten und tätige Werke der Nächstenliebe vorbereiten. Im Neuen Testament wird dem Konzept «Gottes Liebe» eine besondere Bedeutung zugemessen. An vielen Stellen ist die Rede von der Liebe Gottes. Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine grosse Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person Gottes, die als der liebende Gott fungiert. Mit der Zentralität der Liebe hat der christliche Glaube aufgenommen, was innere Mitte von Israels Glauben war und dieser Mitte zugleich eine neue Tiefe und Weite gegeben. Jesus hat dieses Gebot der Gottesliebe mit demjenigen der Nächstenliebe aus dem Buch Levitikus: «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst» (19,18) zu einem einzigen Auftrag zusammengeschlossen (vgl. Mk 12,29-31). Die Liebe ist nun dadurch, dass Gott uns zuerst geliebt hat (vgl. 1 Joh 4,10), nicht mehr nur ein «Gebot», sondern Antwort auf das Geschenk des Geliebtseins, mit dem Gott uns entgegengeht. Die Nächstenliebe wird jedoch in der diesjährigen Fastenzeit in einer
aussergewöhnlichen Weise praktiziert. Denn in Anlehnung auf das Motto der Fastenkampagne 2021 «Klimagerechtigkeit. Sehen und Handeln» richtet sich die Nächstenliebe nicht nur an uns Menschen, sondern auch an die Erde und alle auf deren Boden existierenden Wesen. Kurzum an die Schöpfung. Anders gesagt, Nächstenliebe in diesem Jahr dürfen wir als Respekt vor der Umwelt üben. Denn die Klimaerwärmung fordert uns alle heraus.
Wer Gott liebt, liebt auch dessen Schöpfung und setzt sich ein für Umweltschutz; er steuert gegen die Klimaerwärmung. Mehr als die Hälfte aller Treibhausgase stammen aus unseren Industrieländern. «Grossflächige Waldrodungen für Monokulturen, intensive Stickstoffdüngung und die Zerstörung von Böden als wichtige CO2-Speicher treiben den Klimawandel rasant voran. Hinzu kommt ein globalisiertes Ernährungssystem, in dem Lebensmittel tiefgekühlt um die halbe Welt transportiert und zu Fast Food verarbeitet werden – oder ungenutzt im Abfall landen», heisst es in einem Bericht.
«Wähle das Leben», lautet Moses Aufforderung (Mose im Deueronomium 30,19). Dieser Appell wurde von Jesus aus Nazareth dadurch vervollständigt, dass er sich für das Leben in Fülle einsetzte (Joh 3). Leben zu wählen, gewinnt im Kontext der Klimaerwärmung neue Brisanz. Der lange Atem und das Risiko der Resignation sollen uns nicht davon abhalten, die Stimme der Erde zu hören und unser Tun auf das Leben hin ausrichten. Als Christen wählen wir das Leben, und wer das Leben wählt, wählt Jesus. Wer Jesus wählt, erklärt sich bereit, an der Bewahrung der Schöpfung mitzuwirken. Das ist auch Nächstenliebe.
Abbé Zacharie