Spiritualität im Alltag – Zweimal Advent

Zweimal Advent

In Neuenhof stehen zwei Krippen. In der einen ist alles schon da. Josef, Maria und das Kind, ein Hirte, ein Ochs und zwei Esel, drei Könige, Schafe und ein Gückel. Diese Krippe steht zwischen Gemeindehaus und Migros. Mittendrin.

Die andere Krippe ist recht leer. Ein Hirt und ein einzelne Schaf haben Unterschlupf gefunden. Etwas verloren stehen sie herum. Ganz offensichtlich fehlt hier noch etwas. Diese Krippe steht in der Kirche St. Josef am Rand der Gemeinde.

Beide Krippen bringen etwas Wesentliches von Weihnachten zum Ausdruck. Zwei Wahrheiten. Die eine ist: alles geschieht gleichzeitig und jederzeit. Das Göttliche wird mitten unter uns geboren in Gestalt eines Kindes. Schutzbedürftig, wie alle in dieser Welt, Menschen und Tiere. Menschen am Rand der Gesellschaft – die Hirtinnen und Hirten – sind besonders davon angesprochen. Es bewegt auch Mächtige, wenn sie einen neugierigen Geist haben. Und es verheisst ein versöhntes Miteinander von Geschöpfen aller Art. All das geschieht jetzt und immer wieder. Gleichzeitig und mitten unter uns.

Die andere Wahrheit ist: Wenn immer alles da ist, geht uns etwas verloren. Das Warten, die Erwartung, der leere Raum, die Sehnsucht, die Hoffnung auf etwas Anderes. Wenn immer alles da ist, verlieren wir unsere Achtsamkeit für das Aussergewöhne daran. Es droht gleichgültig zu werden. Wir wundern uns nicht mehr.

Vielleicht wurde deswegen der Advent erfunden. Als Wartezeit auf das Besondere hin. Als leerer Raum, den ein Wunder braucht, um zu wachsen. Als Gewächshaus für unsere Sehnsucht. Aber auch als Konfrontation, dass nicht alles jederzeit zu unserer Verfügung steht. Über das Göttliche in unserem Leben können wir nicht verfügen. Es wird uns geschenkt. Erwartet, aber nicht selbstverständlich. Ersehnt, aber nicht machbar. Das fordert dazu heraus, sich leeren Räumen zu stellen. Inneren und äusseren. Verloren zu sein wie das einzelne Schaf und der einzelne Hirte im Stall. Zwischen den beiden ist viel leerer Raum. Spielraum für Gott und das Wunder. Raum, um aufeinander zuzugehen. In der Krippe, in der schon alles da ist, stehen die Figuren nebeneinander. Einander nahe, aber doch recht unverbunden. Einer der Esel ist sogar nur ein ausgestopfter Kopf an der Wand. Und ob die Könige mit ihren Geschenken dem Kind wirklich nahekommen, ist eine offene Frage.

Peter Zürn