Getauft und gefirmt – und doch ohne Heiligen Geist?

„Hast du den Geist empfangen?“, fragte mich ein junger Mann, Mitte 30. Ich war gerade 18 Jahre alt geworden, habe kurz davor meine Matura gemacht und bereitete  mich  aufs  Priesterseminar  fürs  Philosophiestudium  vor.  Die  An-frage  verwirrte mich etwas. Ich war perplex, wusste nicht genau, was der Herr vor  mir  meinte.  Denn  ich  war  getauft  und  gefirmt.  „Ja“,  gab  ich  zur  Antwort,  und setzte sofort  nach:  „warum  fragst  du  mich?“    Darauf hin  begann  er  mir  seine  ganze  Glaubensgeschichte  zu  erzählen,  angefangen  bei  seiner  Taufe  als  Kleinkind  in  der Katholischen Kirche bis zu seinem Übertritt zu einer Pfingstgemeinde.  Dort  musste  er  mit  Schrecken  feststellen,  dass  er  die  ganze  Zeit den christlichen Weg mitgegangen war, ohne den Geist Jesu empfangen zu haben. Dies war nun möglich gewesen bei seinen neuen Schwestern und Brüdern in der kleinen Christusgemeinde.  Er  spürte,  wie  er  endlich  zum  Glauben  gefunden  hat.  Nicht  zuletzt  freute er sich darüber, dass der Heilige Geist in ihm und durch ihn wirkte. Er durfte bereits die Sprache des Geistes sprechen, und beim Beten lasse er einfach den Geist an seiner Stelle sprechen. Die Bitte an mich war dann die Schlussfolgerung der für mich eher ungewöhnlichen Geschichte: „komm zu uns in meine Gemeinde,  du  wirst  den  Geist  empfangen“.  Ich  lehnte  das  Angebot  sofort  ab,  und schlug weniger Monate später den Weg des Priesteramts ein.

Nun sind inzwischen Jahre vergangen. Immerhin sehe ich im Pfingstevangelium die Frage dieses jungen Mannes im Hintergrund. Wenn auch umformuliert. Erst nach seiner Auferstehung spricht Jesus seinen Jüngern den Empfang des Heiligen Geistes  zu.  Also  nicht  gerade  bei  der  Berufung,  nicht  von  Anfang  an,  als  alle  diesen Jünger in die Nachfolge Jesu berufen wurden. Und sie haben mit ihm das  Leben  geteilt:  Freude  und  Kummer  erlebten  sie  gemeinsam.  Der  Meister  nannte sie sogar „seine Freunde“; aber sie waren noch nicht 100% reif für das Werk Christi. Und wenn es uns Getauften und Gefirmten genauso erginge? Wir sind doch Schwestern und Brüder Jesu! 

Versetzen  wir  uns  erstmals  zurück  in  die  Zeit  der  Pfingstjünger.  Wir  sind  in  Jerusalem, im Jahr 33. Oder ungefähr. Die elf Männer unterschiedlichen Alters haben sich eingesperrt in einem Haus. sie pflegen keinerlei Kontakt zur Aussenwelt. Aus Angst vor dem Establishment. Dieses hat den Meister zum Tode verurteilt. Maria,  die  Mutter  Jesu,  haben  sie  bei  sich  aufgenommen.  Denn  ihnen  wurde  Maria anvertraut.  Sie sitzen da ohne Kraft, ohne Hoffnung, ohne Perspektive.  Ihr  einziger  Reichtum:  die  Erinnerung  an  die  gemeinsame,  ereignisvolle Zeit mit Jesus. Auch Erinnerung an die Worte des Meisters… Er war tot, aber danach auferstanden. Und er kommt hin und wieder mal vorbei, grüsst und geht fort. Bis an einem Tag, wo er kam, und nicht sofort wegging. Er hauchte sie an, versprach ihnen den Geist und wurde emporgehoben in den Himmel. Nach einigen Tagen kam tatsächlich der verheissene Geist Gottes auf die Jünger herab. Und sie begannen zu wirken im Namen Jesu Christi, des auferstandenen und in den Himmel aufgefahrenen Herrn.

Zurück zu uns. Getauft und gefirmt sind wir. Christus beschenkt reichlich mit der Gabe des Geistes Gottes bei der Eingliederung in seine Kirche. Wir gehören ihm an, wir folgen ihm, wir lernen ihn kennen und lieben. Dass wir dabei den Geist empfangen haben, keine Frage. Der Geist in uns ist jedoch spürbar, wenn wir, die Pfingstjünger, beginnen, etwas zu bewirken im Namen Jesu.

Der Geist ist freilich keine blosse Theorie, sonder Tatsache, Werk, Bewegung, Kraft, Dynamik. Ganz nach der hebräischen Abstammung „ruah“: Wind, Atem, Strömung. Das kommt mir vor, wie ein Motor, der bereits Benzin oder sonstigen Treibstoff hat. Der muss noch gestartet werden. Und dies ist uns allen gegeben, etwas in Bewegung zu bringen im Namen Jesu Christi, denn der Heilige Geist wohnt in uns. „Empfangt den Heiligen Geist, und setzt Zeichen in der Welt von heute im Namen Jesu Christi“. Denn keinen toten Geist haben wir empfangen, sonder einen lebenden und einen lebensstiftenden Geist.

Abbé Zacharie