Madeleine Delbrêl wurde 1904 in Mussian, einer kleinen Stadt an der Dordogne, geboren. Ihre Eltern kamen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, was Madeleine im Rückblick als einen Glücksfall bezeichnete. Durch diese Erfahrung im Elternhaus gelang es Madeleine, später mit den unterschiedlichsten Leuten in Kontakt zu treten. Eine erste Einführung in den Glauben erhielt Madeleine nicht von ihren ungläubigen Eltern, sondern von ihrer Grossmutter. In den Jugendjahren in Paris zeigte sich der Einfluss des atheistischen Literaturkreises von Vater Delbrêl auf Madeleine. Scharf und in aller Konsequenz durchdachte und durchlebte sie den neuzeitlichen Atheismus. Ihre erste grosse Liebe fand sie in Jean Maydieu. Ihre Liebe schien unzertrennlich und es wurde bereits von Hochzeit gesprochen. Für die atheistische Madeleine war es völlig unverständlich und erschütternd, als Jean sich zurückzog und ins Noviziat der Dominikaner eintrat. Wie konnte ein Mensch sich ganz für Gott entscheiden, während ein anderer die Existenz Gottes leugnete?
Madeleine lernte an der Universität junge Christen und Christinnen kennen. Durch ihr Zusammensein und die Erfahrung, dass für diese jungen Menschen Christus eine greifbare Wirklichkeit auch im Alltag war, konnte Madeleine die Existenz Gottes nicht mehr als unzeitgemäss ablehnen. Sie wollte ihren atheistischen Standpunkt überprüfen. Einer der christlichen Freunde gab ihr den Rat, täglich fünf Minuten still an Gott zu denken. Diese tägliche Übung führte die junge Frau zu Gott. Später wird sie schreiben: «Vom ersten Mal an betete ich kniend (…). Ich tat es an jenem Tag und an vielen anderen Tagen, ohne auf die Uhr zu blicken. Seitdem habe ich lesend und nachdenkend Gott gefunden. Aber betend habe ich geglaubt, dass Gott mich gefunden hat, dass er die lebendige Wahrheit ist, die man lieben kann, wie man eine Person liebt.» Diese Umkehr weg vom Atheismus hin zur Erkenntnis, dass Gott lebendig ist, sollte ihrem Denken und Handeln eine radikale Wendung geben. Fortan konnte Madeleine Gottesliebe und Nächstenliebe nicht mehr trennen.
Zeitlebens wollte Madeleine Delbrêl sich «einwurzeln» in die katholische Kirche. Sie engagierte sich mit grosser Unterstützung ihres Beichtvaters Abbé Lorenzo bei der Pfadfinderbewegung. Immer mehr verabschiedete sie sich vom Besuch der Philosphievorlesungen und dem Studium theologischer Werke und wandte sich der Sozialarbeit zu. Zusammen mit anderen jungen Frauen begann sie, sich für kranke und alte Menschen einzusetzen. Sie begriff mehr und mehr, dass der Wille, das Evangelium zu leben, die Hinwendung zum Mitmenschen bedeutete. Sie selber wollte nicht das Evangelium verkünden, sondern Evangelium sein. Zusammen mit zwei anderen jungen Frauen gründete sie eine Lebensgemeinschaft in Ivry, einem vom Kommunismus geprägten Arbeitervorort von Paris. Die Frauen hatten stets ein offenes Haus für Benachteiligte und boten christliche Nachbarschaftshilfe an. Sie lebten nach den evangelischen Räten, ohne im eigentlichen Sinne eine Ordensgemeinschaft oder ein Säkularinstitut zu sein. Arbeit und Gebet war für die Lebensgemeinschaft eins.
Madeleine Delbrêl zeigt uns, was es heisst, die Berufung in der Taufe im umfassenden Sinn ernst zu nehmen und in einem gewöhnlichen Alltag aussergewöhnlich zu verwirklichen. Sie macht uns darauf aufmerksam, dass ein Christ, eine Christin, in einer sich ständig wandelnden Welt die Fähigkeit besitzen muss, seinen/ihren Glauben der Dynamik der Geschehnisse anzupassen.