Predigt vom Kirchenpatronsfest St. Michael in Ennetbaden

Predigt vom Kirchenpatronsfest St. Michael in Ennetbaden

Festgottesdienst vom Sonntag, 24. September 2023


Vor Kurzem durfte die Pfarrei Ennetbaden das Patrozinium und damit den Namenstag ihrer Kirche feiern. Die ehemalige für Ennetbaden zuständige und aktuell in der Pfarrei St. Martin Entfelden tätige Seelsorgerin, Ana Behloul, zelebrierte die Festpredigt in diesem Gottesdienst.

Wir freuen uns, dass wir Ihnen diese zum Michaelstag und zum Nachlesen nachstehend zur Verfügung stellen dürfen.

«Liebe Mitchristen, heute feiern wir unseren Kirchenpatron, den heiligen Michael. Gross und herrlich steht er vor uns mit seinem Namen: Mi-cha-el – Wer ist wie Gott. Auch wenn dieser Name mit seiner Bedeutung wie eine Provokation für unseren heutigen Weltgeist und seine Werteordnung ist, spüren wir, wie die Betrachtung dieser Engelsgestalt uns Mut macht und uns einlädt zu glauben.

Dieser Glaube an einen Gott, ohne den wir gar nicht leben können, ist ganz tief in der Natur des Menschen verwurzelt. Das heisst nun aber nicht, dass wir diesen Glauben auch immer in seiner ganzen Tragweite erkennen und leben.

Die heutige Welt ist ein sprechendes Beispiel dafür. Wir leben in einer Zeit, die von der Glaubenskrise geprägt ist. Es ist heute, wie wenn die Wirklichkeiten diese Welt uns den Zugang verstellen würden, zur unsichtbaren Wirklichkeit Gottes.

Der Mensch hat sich so sehr die Welt erobert, dass Gott fast unnötig geworden ist.

Es ist zwar grossartig, wie der Mensch mit seiner Wissenschaft die Welt erforscht und wie er sich mit der Technik die Gesetze und Kräfte der Natur dienstbar gemacht hat.

Der Mensch ist auch fasziniert, ja geradezu geblendet von den Erfolgen, die er errungen konnte. Er hat sich so viele Lebensmöglichkeiten geschaffen, wie sie frühere Generationen nicht zu träumen wagten. Die Welt ist so übermächtig geworden, dass ihre Spielregeln uns den Lebensrhythmus diktieren. Wir sind so sehr von dieser Welt erfüllt, dass wir Gefahr laufen, den Himmel aus den Augen zu verlieren. Wo hat nun aber Gott noch Raum in unserem Leben? Die Welt scheint ihn entthront zu haben. In einer übermächtigen Welt ist Gott wie ohnmächtig geworden und der Glaube an ihn scheint zu zerfallen.

Es gibt diese bekannte Begebenheit über den Hl. Franziskus von Assisi, die sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts in einer zerfallenen Kirche in San Damiano zugetragen haben soll. Beim Gebet in der Kirche vernahm Franziskus plötzlich die Stimme Jesu vom Kreuz, die zu ihm sprach: «Franziskus, siehst du nicht wie mein Haus zerfällt? Geh hin und richte es wieder auf.» Franziskus gab damals die Antwort: «Gerne will ich das tun, Herr»

Wir wissen, dass Franziskus die Bitte Christi zuerst falsch verstanden hat und meinte, er müsse das verfallene Kirchlein San Damiano renovieren. Bald aber merkte er, dass es um etwas viel Wesentlicheres ging: um die Erneuerung der Kirche im Glauben.

In den 800 Jahren, die seit dieser Begebenheit vergangen sind, wurde immer wieder der Zerfall der Kirche beklagt und es wurden immer wieder Rufe nach einer Erneuerung, nach Reformen, nach einer Wiederbelebung der Kirche im Glauben laut.

Und heute? Seit dem 12. September, als die Studie zu Missbrauchsfällen der letzten 70 Jahre in der katholischen Kirche Schweiz der Öffentlichkeit präsentiert wurde, machen sich einerseits Wut, andererseits aber auch die Ratlosigkeit über die Missbrauchsfälle und über deren Vertuschung innerhalb der Kirche breit.

Es war wahrscheinlich noch nie zuvor so schwer, sich öffentlich zur katholischen Kirche zu bekennen wie gerade heute. Neben der schon seit längerer Zeit beklagten Glaubenskrise, des Reformstaus, dem Mitgliederschwund und Personalmangel hat unsere Kirche nun ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. Und nicht nur das. Einige Stimmen rufen sogar nach ihrer Abschaffung.

Angesichts dieser Situation kommt einem der Gedanke, ob nicht Christus heute zu einem jeden von uns sprechen müsste, wie vor 800 Jahren zum heiligen Franziskus von Assisi: «Siehst du nicht wie mein Haus zerfällt? Gehe hin und richte es wieder auf.»

Sind wir bereit, wie Franziskus zu sagen «Gerne will ich das tun, Herr?»

Ich denke, gerade in der jetzigen Situation, in der – verständlicherweise – eine noch grössere Abwendung von der Kirche zu befürchten ist und in den Medien eine Skandalisierung der Kirche um sich greift, braucht es ein Gegengewicht. Und dieses Gegengewicht ist unser bereites JA zur Botschaft des Evangeliums. Zu einer Botschaft der Liebe Gottes zu uns Menschen, die in Jesus Christus ihre konkrete Gestaltet angenommen hat und die auch im Engagement so vieler Menschen in der Kirche täglich erfahrbar ist.

Es wäre falsch, in einer Schockstarre zu verharren oder einfach zu resignieren. Gerade jetzt geht es darum, dass es uns wieder zum Bewusstsein kommt, wie wesentlich und wertvoll unser Glaube ist und wie sehr er zu unserem alltäglichen Leben gehört.

Es ist der Glaube an einen persönlichen Gott, der sich uns in den Schwächsten offenbart. Ein Gott, der uns im brennenden Dornbusch verspricht: Ich bin da für euch!

Ein Gott, der uns in der Menschwerdung seines Sohnes menschlich ganz nahekommt.

Liebe Mitchristen, wenn eine Kirche gebaut wird, ist die Namensgebung ein Entscheid von weitreichender Bedeutung. Der Name verpflichtet. Diese Kirche wurde nach dem grossen Erzengel Michael benannt. Michael ist die grosse und geheimnisvolle Gestalt. Oft wird er dargestellt auf Weltgerichtsbildern mit einer Waage, mit der er die Seelen wägt. Oft erscheint er in Rittergestallt mit Helm, Fahne und einem flammenden Schwert: manchmal auch mit einem offenen Buch des Lebens und des Todes. Vor dieser Kirche finden wir ihn als Ritter dargestellt, mit dem Schwert in der einen und der Wage in der anderen Hand.

 In der Bibel treffen wir nur an wenigen Stellen auf den Erzengel Michael, vor allem im Buch des Propheten Daniel und dann noch im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, aus der wir heute gelesen haben. Hier wird uns Michael geschildert als der grosse Kämpfer Gottes, der das Böse, besiegt. Michaels Auftrag ist es, die Grösse Gottes zu verkünden.

Es ist nicht leicht, diese kraftvolle Gestalt zu umschreiben und anschaulich darzustellen. Michael bleibt für uns immer ein geheimnisvolles Wesen. Aber so undurchschaubar seine Gestalt erscheint, so klar und eindeutig ist sein Name: Mi-cha-el – ein hebräisches Wort, zu deutsch: Wer ist wie Gott?

In der Bedeutung dieses Namens bekommt nun die ganze Gestalt des Engels ein klares Profil.

Michael: Wer ist wir Gott?

Damit ist die Frage nach unserem Glauben an Gott gestellt. Was bedeutet für uns eigentlich Gott, den wir in unserem Glaubensbekenntnis als den allmächtigen nennen, den Schöpfer und Erhalter und Vollender alles Geschaffenen. Was bedeutet er mir?

Jene Mitmenschen und Vorfahren, die vor 57 Jahren, diese Kirche bauten, haben in diesem Bau ein bleibendes Zeichen des Glaubens errichtet.

Die Kirche mit dem Altar und dem ewigen Licht in ihrem Inneren und mit den Glocken über dem Dach, ist das unübersehbare Zeugnis für den Glauben an Gott. Das soll uns am Patrozinium wieder bewusst werden: Die Kirche mit ihrem Schutzpatron St. Michael ist uns Anruf zum Glauben.

Ich wünsche Ihnen, dass sie gerade in diesen Schwierigen Tagen trotz aller Versuchungen und Herausforderungen, die Gegenwart Gottes erfahren und daraus Kraft schöpfen.

Ich möchte es Ihnen wünschen, dass auch Sie heute die Worte Jesus vom Kreuz hören «Siehst du nicht wie mein Haus zerfällt? Gehe hin und richte es wieder auf.» und ihm die Antwort geben: Gerne will ich das tun, Herr.

 Ja, wie in der damaligen Zeit, ist es auch heute nötig, dass wir Kirchen bauen. Allerdings anders als damals; nicht eine Kirche aus Stein, sondern die Kirche des Glaubens. Oder sagen wir es mit dem österreichischen Pastoraltheologen Paul Michael Zulehner: «Nicht eine Kirche aus Steinen, sondern eine Kirche aus Beinen». Das heisst, eine Kirche aus glaubenden Menschen, die mit dem glaubenden Herzen bekennen: Michael – Wer ist wie Gott!»