Und sie bewegt sich doch, unsere Kirche

Und sie bewegt sich doch, unsere Kirche

Weltsynode bringt Veränderung


«Die Weltsynode im Oktober 2023 in Rom hat sich für mehr regionale Unabhängigkeit in unserer weltumspannenden Kirche ausgesprochen und das an einer Synode, an der zum ersten Mal auch Frauen gleichberechtigt teilnahmen. Wir sind voller guter Hoffnung, dass sich die Kirche eben doch bewegt. Das sind erste Schritte, um die Glaubwürdigkeit in der heutigen Zeit wiederzugewinnen», bekräftigt Luc Humbel, Kirchenratspräsident der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau.

Demgegenüber steht aber auch eine andere Realität: Die hohen Austrittszahlen aus der Römisch-Katholischen Kirche im Jahr 2023. Diese stehen ganz im Zeichen der Veröffentlichung der von der Römisch-Katholischen Kirche in der Schweiz in Auftrag gegebenen Pilotstudie zum Missbrauch seit 1950. Die erschütternden Missbrauchszahlen aus der Studie, insbesondere aus den frühen Jahren, führten ab September 2023 zu einer grossen Austrittswelle der Mitglieder der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau und summierten sich schliesslich in einer Verdoppelung der Austritte im Vergleich zu den Vorjahren.

Im Kanton Aargau gehörten 2023 von den gut 720’000 Einwohnerinnen und Einwohnern (Stand 30. Juni 2023) rund 27.5 % der Römisch-Katholischen Kirche an. Von diesen 197’728 Mitgliedern traten im letzten Jahr 9’075 oder 4.59 % aus der Kirche aus. Dem stehen 161 Wiedereintritte und rund 1’000 Erstkommunionen gegenüber. Die beinahe Verdopplung der Austrittszahlen, die im Vorjahr noch bei 4’559 Personen lag, ist in erster Linie auf die am 12.9.2023 präsentierten Resultate der Studie «Aufklärung Missbrauch» in der Römisch-Katholischen Kirche in der Schweiz seit 1950 zurückzuführen. So waren insbesondere die Austrittszahlen ab September 2023 massiv höher als in den Vorjähren. Diese unabhängige historisch-wissenschaftliche Untersuchung und Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche Schweiz wurde von den drei nationalen kirchlichen Institutionen der Schweiz – der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) und der Konferenz der Vereinigung der Orden und weiterer Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens (KOVOS) vor einem Jahr der Universität Zürich in Auftrag gegeben und wird bis 2026 fortgeführt.

In Kenntnis der hohe Austrittszahlen begrüsst die Katholische Kirche im Aargau die Studie zur Aufarbeitung des Missbrauchs innerhalb der Römisch-Katholischen Kirche in der Schweiz als wichtigen und längst fälligen Schritt in Richtung Transparenz und Verantwortung für die vergangenen Taten. Was geschehen ist, darf nicht wieder geschehen und das soll mit den bereits seit 2002 erschienen ersten gültigen Richtlinien der Schweizer Bischofskonferenz zu Prävention und zum Umgang mit Fällen und Meldungen verhindert werden. Für Mitarbeitende der Römisch- Katholischen Kirche im Aargau gilt seit 2010 eine vertraglich festgehaltene Anzeigepflicht bei Kenntnisnahme von Fällen gegen die persönliche Integrität. Die unabhängige Meldestelle und der Genugtuungsfonds für Opfer, Schulungen in Nähe- und Distanz sowie Leumundszeugnisse für pastoral-tätige Personen greifen bereits heute. SBK, RKZ und KOVOS haben auf nationaler Ebene weitere Massnahmen beschlossen, mit denen die Aufarbeitung fortgesetzt wird und institutionelle Mängel angegangen werden: Es gibt noch viel zu tun im Bestreben, systemische Defizite und Risiken zu erkennen und anzugehen, Missbräuche zu ahnden und Vertuschung zu verhindern.

Aufarbeitung der Vergangenheit und Massnahmen für die Zukunft stellen einen wichtigen Gesinnungswechsel dar und helfen der Römisch-Katholischen Kirche, sich zu verändern. Weiter ist die Römisch-Katholische Kirche gefordert, ihre Reformbestrebungen auch im Bereich der Gleichberechtigung glaubwürdig umzusetzen.

Kirchenfinanzen

Die grosse Zahl der Austritte stellt die Kirchgemeinden und die Landeskirche vor finanzielle Herausforderungen, da sich die Kirche durch Kirchensteuern ihrer Mitglieder finanziert. Die Landeskirche unterstützt mit ihren Mitteln die Kirchgemeinden und Pfarreien vor Ort, aber auch Jugendarbeit, spezialisierte Seelsorge zum Beispiel in den Aargauer Spitälern, Kliniken und Heimen, christliche Bildung und Bekämpfung von Armut über katholische Hilfswerke wie die Caritas Aargau oder Einrichtungen wie die Notschlafstelle Aargau. Auch die Bewahrung der Schöpfung durch Unterstützung von Umweltprojekten oder der Unterhalt der kulturhistorischen Güter gehören zu den Aufgaben der Landeskirche.

Kirchenratspräsident Luc Humbel: «Katholikinnen und Katholiken müssen für sich selber und für die Gesellschaft den Mehrwert erkennen, der Kirche anzugehören, auch wenn sie nicht mehr regelmässig die Gottesdienste besuchen. Die Kirche bietet für Menschen in allen Lebenslagen Seelsorge und Gemeinschaft. Sie engagiert sich für die Schwachen am Rande der Gesellschaft. Damit erfüllt sie auch heute noch eine unverzichtbare Funktion.»